Silvia Andrea – Faustine
Roman. Herausgegeben und mit einem Kommentar von Cordula Seger
Edition Silvia Andrea, herausgegeben von Christine Holliger und Maya Widmer, Band 3
Reihe Schweizer Texte, Neue Folge, Band 41
Eine Publikation des Instituts für Kulturforschung Graubünden
Starke Frauenfiguren sind in Silvia Andreas Werk allgegenwärtig. Die 1840 in Zuoz geborene Autorin, mit bürgerlichem Namen Johanna Garbald-Gredig, interessierte sich für die Anliegen der Frauenbewegung. Selbstfindung, Bildung, Beruf, Unabhängigkeit und eine Beziehung zwischen Mann und Frau auf Augenhöhe sind denn auch die Themen, die den Entwicklungsroman Faustine in der vorliegenden zweiten Fassung prägen. Ein umfassender Kommentar von Cordula Seger beschäftigt sich mit der Textgenese, widmet sich der intellektuellen Biographie der Autorin und reflektiert ihr Werk im zeitgenössischen Kontext. Es gilt, Silvia Andrea als pointierte und zugleich differenzierte Erzählerin weiblicher Schicksale zu entdecken.
Faustine erschien in einer ersten Fassung 1889 im Kommissions-Verlag von J. Vogel in Glarus. Die Autorin hatte ihren Roman, den sie als Schilderung ihres «inneren Lebens» bezeichnete, auf eigene Kosten drucken lassen. Trotz sehr guter Rezensionen verkaufte sich das Buch schlecht. Am Stoff selbst aber arbeitete die Autorin weiter. Die vorliegende zweite Fassung, die sich aufgrund verschiedener inhaltlicher und formaler Bezüge auf das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts datieren lässt, wird hier erstmals publiziert.
Wie der ausführliche Kommentar herausarbeitet, ist die zweite Fassung im Gegensatz zur ersten, die zwischen allegorisierendem Ideenroman und einer psychologischen Motivation des Geschehens changiert, einer realistischen Erzählweise verpflichtet. Die Entwicklung der Protagonistin wird als beständige Reibung mit den vorherrschenden Normen und Diskursen geschildert, mündet letztlich aber in eine geglückte Integration, da die Gesellschaft selbst als lernfähig erscheint. Vergleichend lassen sich poetologische und weltanschauliche Veränderungen herausarbeiten, die wichtige Rückschlusse auf die Selbstverortung der Autorin erlauben. Diese zweite Fassung zeigt Silvia Andrea entsprechend als differenzierte Stimme im Kanon einer selbstbewussten weiblichen Literatur im Aufbruch.
Die Publikation ist Teil der gleichzeitig erschienenen, vierbändigen „Edition Silvia Andrea“. Die drei weiteren Bände tragen die Titel „Violanta Prevosti“ (geschichtlicher Roman), „Das Bergell“ (Reiseführer) und „Das eigene Ich und die grosse Welt“ (ausgewählte Prosatexte).
Artikel im „Bündner Tagblatt“ vom 8. April 2014
Artikel im „Bündner Tagblatt“ vom 3. August 2015
zurück